Wer seinen Rechner derzeit mit einer flotten Grafikkarte aufmotzen will, wird meist bitter enttäuscht. Das Problem: Die meisten neuen Kartenmodelle sind entweder vergriffen oder die Händler verlangen unverschämt hohe Preise dafür. Die Kosten für leistungsstarke Grafikkarten haben sich innerhalb des vergangenen Jahres teilweise vervierfacht, das zeigt eine Auswertung des Preisvergleichsportals Idealo. Demnach hat es vor allem bei Topmodellen »Preisanstiege von bis zu 294 Prozent« gegeben.
So kostete etwa die Grafikkarte des Modells Radeon RX 5700 XT Red Devil laut Idealo vor einem Jahr noch 444 Euro. Mittlerweile liegt ihr Preis bei etwa 1800 Euro. Doch auch bei Einstiegsmodellen und Mittelklassekarten gibt es dem Portal zufolge einen Preistrend nach oben: Im Durchschnitt kosten Grafikkarten 136 Prozent mehr als im vergangenen Jahr.
Nils Raettig vom Spielemagazin »Gamestar« hält dieses Frühjahr für einen denkbar schlechten Zeitpunkt, um den heimischen Gaming-Rechner aufzurüsten. »Man sollte sich gut überlegen, ob man derzeit wirklich dringend eine neue Grafikkarte braucht«, sagt der Hardware-Redakteur dem SPIEGEL. Auch wenn es sich bei dem Modell mit dem vierfach höheren Preis eher um einen Extremfall handle, sei eine Verdoppelung oder sogar Verdreifachung der Kosten durchaus üblich. »Auch die seriösen Händler passen sich der Marktsituation an und verlangen höhere Preise«, sagt Raettig.
Sind das Wucherpreise?
Für derzeit bemerkenswert hoch hält die Preise auch Oliver Buttler von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Rechtlich gesehen handle es sich aber nicht um Wucherpreise, sagt er dem SPIEGEL: »Die Händler dürfen das.« Zwar sei eine Bedingung für Wucher erfüllt, nämlich dass mindestens der doppelte Preis verlangt wird. »Aber ich sehe keine Notlage darin, dass schnelle Grafikkarten für Videospiele knapp werden.« Eine solche Notlage wäre eine weitere Bedingung.
Im konkreten Fall handle es sich um eine Angebot-und-Nachfrage-Situation, die zulasten der Kunden geht, sagt der Verbraucherschützer. »Es ist ärgerlich, aber juristisch ist das in Ordnung.«
Eingespannt fürs Kryptoschürfen
Ein Grund für die Mondpreise sind unter anderem Kryptowährungen. Denn leistungsfähige Grafikkarten sind nicht nur wichtig für hohe Bildraten beim Videospielen, sondern helfen auch dabei, Digitalwährungen zu schürfen. Grafikkarten von Herstellern wie Nvidia und AMD werden aufgrund der schnellen Hashwert-Berechnung massenweise in sogenannte Mining-Farmen eingespannt. Spieler werfen den US-Unternehmen daher vor, sie und ihr Hobby im Stich gelassen zu haben.
Nvidias Geschäft läuft derweil blendend. Das Unternehmen hat einen Rekordumsatz von 5,7 Milliarden Dollar für das erste Quartal des Geschäftsjahres gemeldet, der zu einem Großteil auf den Verkauf von Grafikprozessoren für Spieler zurückzuführen ist. Mit ihnen hat Nvidia 2,76 Milliarden Dollar umgesetzt – doppelt so viel wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Mit im Februar veröffentlichten Mining-Karten ohne Bildschirmanschluss hat das Unternehmen etwa 155 Millionen Dollar verdient.
Um enttäuschte Spieler zu besänftigen, hat Nvidia angekündigt, dass noch in diesem Monat spezielle Modelle mit gedrosselter Leistung für Hashwert-Berechnungen auf den Markt kommen sollen. Diese mit »Lite Hash Rate« (LHR) gekennzeichneten Karten sollen Kryptoschürfer abschrecken, da beim Mining auf halbe Leistung gedrosselt wird, während Spiele mit voller Kraft berechnet werden.
Vorherige zaghafte Versuche, das Schürfen mit künstlichen Bremsen zu erschweren, zeigten allerdings nur mäßigen Erfolg. Hacker hebelten eine Software-Drosselung von Nvidia aus – und die Firma löste ihre Bremse aus Versehen sogar selbst.
Viele Faktoren treiben den Preis nach oben
Ob der Plan mit den gedrosselten Karten aufgeht, wird sich zeigen. »Ich bin noch skeptisch, ob das die Situation für Spieler verbessern wird«, sagt Hardware-Experte Raettig. »Es kann durchaus sein, dass sich das Mining auch noch mit gedrosselter Leistung lohnt.«
Auch sind Digitalwährungen nicht die einzigen Preistreiber. Der Mangel an Mikrochips und der PC-Nachfrageboom in Coronazeiten haben Angebot und Nachfrage weit auseinanderdriften lassen. Da hilft es auch nicht, dass AMD mit seinen Modellen nach vielen Jahren wieder mit Nvidia mithalten kann.
Das Ausweichen auf Konkurrenzkarten ist laut Raettig auch kein wirklicher Ausweg: »Die Preiserhöhungen sind über alle Modelle hinweg zu beobachten«, sagt er. Wer keine Lust habe, mehr als tausend Euro für eine Grafikkarte auszugeben, für den sei der Gebrauchtmarkt zwar eine Option, so Raettig: »Aber auch da ist alles überteuert.«
Seiner Meinung nach wird sich die Lage so schnell nicht wieder ändern. »Ich gehe davon aus, dass es noch das ganze Jahr so bleibt«, vermutet Raettig, »und auch im nächsten Jahr könnte die Situation noch schwierig sein.«
Teure Technik: Darum können Händler gerade Mondpreise für Grafikkarten verlangen - DER SPIEGEL
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